Atomkraft und Verbrennungsmotoren: Paris und Berlin finden einen Kompromiss

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Von Sylvain Etaix

Veröffentlicht am - Aktualisiert am

In der Euphorie der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Elysée-Vertrags an der Sorbonne am 22. Januar dieses Jahres hatten wir in der Redaktion eine Debatte. Sollten wir mit der „wiedergefundenen Freundschaft“ titeln und damit riskieren, als brave Naivlinge zu gelten, oder hätten wir kritischer sein sollen. Wir entschieden uns für die zweite Option mit folgender Überschrift: „Eine deutsch-französische Verständigung so schön, zu schön, um tief zu sein?“. Die letzten Tage des Monats März haben uns Recht gegeben. Wie die Koalition von Olaf Scholz (Christian Lindner und Vizekanzler Robert Habeck sind sich in allen wichtigen Fragen uneinig) waren auch die Beziehungen zwischen Paris und Berlin erneut angespannt, und zwar rund um die beiden heißen Eisen des Augenblicks: Verbrennungsmotoren und Kernkraft.

 

Une Avril 2023

Frankreich kann die Kernenergie nutzen, um das europäische Ziel einzuhalten.

Mit gezückten Messern“

Der letzte EU-Gipfel in Brüssel am 23. und 24. März war wieder eine Gelegenheit für Emmanuel Macron und Olaf Scholz, ihre Meinungsverschiedenheiten zu zeigen. Die Beziehung zwischen Paris und Berlin ist „auf Messers Schneide“. Natürlich sind sich die beiden Regierungschefs über das ultimative Ziel einig: die notwendige Dekarbonisierung der Industrien, aber Paris und Berlin sind sich uneins über die Art und Weise, wie dies erreicht werden soll, da jeder seine eigenen Interessen verteidigt.

Als das Gesetz zum Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2035 so gut wie in trockenen Tüchern war, legten die deutschen Liberalen plötzlich ihr Veto ein und verlangten, verschiedene technologische Wege offen zu halten, darunter auch den des Verbrennungsmotors, der mit klimaneutralem Kraftstoff (E-Fuel, nicht aus fossilen Energieträgern gewonnen) betrieben wird. Am 25. März setzten sie sich schließlich durch. Ein großer politischer Sieg für die FDP (dieser Erfolg auf europäischer Ebene gibt der Partei von Christian Lindner in der regierenden Koalition wieder mehr Gewicht, während sie in den Umfragen am Boden liegt). Vor allem aber ist es ein großer Sieg für die deutschen Autohersteller, allen voran Porsche, ein Pionier bei der Entwicklung und Herstellung synthetischer Kraftstoffe. „Man kann die Form kritisieren, aber inhaltlich haben die Deutschen Recht und haben den Coup sehr gut gespielt“, betont der Wirtschaftswissenschaftler Nicolas Bouzou. „Es ist eine Position, die wir verteidigt haben und die im deutschen Koalitionsvertrag enthalten ist. Es ist daher nicht überraschend, dass wir diese Position in der Europäischen Union vertreten“, betont der Abgeordnete Jochen Haussmann, Fraktionsvorsitzender der FDP/DVP im Landtag von Baden-Württemberg, der Wiege der deutschen Automobilindustrie, den wir interviewt haben (siehe Seite 14). Seiner Meinung nach wurde die Stellungnahme der deutschen Regierung sowohl von der Bevölkerung als auch von der Industrie positiv aufgenommen. Und wir verstehen, warum!

Mit diesem diplomatischen Meisterstück ging Berlin jedoch das Risiko ein, in den Augen der anderen europäischen Länder ein etwas weniger zuverlässiger Partner zu werden. Dies ärgerte Paris, das in den letzten Tagen um jeden Preis versuchte, die Kernenergie (gegen den Willen der Deutschen) so weit wie möglich in die europäischen Texte aufzunehmen, über die in Energiefragen verhandelt wird. Der Epilog dieses Kräftemessens fand heute Morgen in den frühen Morgenstunden statt. Die Europaabgeordneten und die Mitgliedstaaten einigten sich darauf, den Anteil der erneuerbaren Energien am europäischen Energiemix bis 2030 von 22% auf 42,5% zu erhöhen und dabei die Kernenergie zur Herstellung von kohlenstofffreiem Wasserstoff zu berücksichtigen. Die Kernenergie wird als „weder grün noch fossil“ anerkannt. Ein (halber) Sieg für Frankreich, das somit die Kernenergie nutzen kann, um das europäische Ziel einzuhalten. Am Ende dieser europäischen Sequenz über Atomkraft und Verbrennungsmotoren haben Paris und Berlin einen schwierigen Kompromiss errungen, auch wenn andere Meinungsverschiedenheiten zweifellos wieder auftauchen werden, wenn es um die praktischen Aspekte des europäischen Abkommens geht.

„Man kann die Form kritisieren, aber im Grunde haben die Deutschen Recht und die Partie gut gespielt.“